Grenzen setzen und in Verbindung bleiben, geht das?

Montags-Impuls #285 Grenzen für Verbindung (1)

Rosa-Maria Buchalik hat bereit im letzten Jahr einen Gastbeitrag in den Montags-Impulsen veröffentlicht zum Thema: Wertearbeit. Sich bewusst werden, was wirklich wichtig ist.

In diesem Montags-Impuls findest du Antwort-Versuche von Rosa-Maria Buchalik auf folgende Fragen:

  • Was brauchen wir, um unsere persönlichen Grenzen überhaupt wahrnehmen zu können?
  • Warum kann es uns trotzdem schwer fallen, die eigenen Grenzen zu wahren?
  • Wie finden wir eine Balance zwischen Abgrenzung und Verbindung? Geht das überhaupt?

Kurz gesagt geht es um die eigenen Grenzen und noch darüber hinaus. Und darum, was hinter der Erkenntnis steckt, die vor ein paar Monaten eine Klientin äußerte: „Ich muss wissen, dass es da eine Türe gibt, die ich schließen kann, um sie öffnen zu können.“

Grenzen bedeuten innen und außen. Hier das Eine und dort das Andere. Dabei sind Grenzen kein Selbstzweck, denn dann würden sie nur trennend wirken. Stattdessen wollen wir mit Grenzen etwas SICHERstellen. Wenn wir unsere persönlichen Grenzen wahren, wollen wir schützen, was uns wichtig und wertvoll ist. Das ist wesentlich, um sein zu können, wer wir sind. Die erste Frage, die wir uns stellen können, ist daher:

Was ist mir wichtig?

Wenn wir dieser Frage nachgehen, dann stoßen wir unausweichlich auf unsere Werte und Bedürfnisse, Freiheit, Engagement, Optimismus, Kreativität, Vitalität, Dankbarkeit… Die Liste hier ist lang und für jeden sehr individuell. Wenn unsere Werte „unter Beschuss stehen“, also wenn sie angefochten werden oder wir das Gefühl haben, dass wir nicht nach ihnen leben können, dann haben wir oft den Wunsch nach Grenzen. Weiter stoßen wir mit der Frage, was uns wichtig ist, auch auf bestimmte Lieblingsstrategien, die unsere Bedürfnisse erfüllen. Ein Beispiel für so eine Lieblingsstrategie ist Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen, um unser Bedürfnis nach Kontakt, Austausch, Zugehörigkeit und Miteinander zu erfüllen. Oder Sport zu treiben, um Bedürfnissen wie Gesundheit, Bewegung, oder Abenteuer nachzugehen.

Vielen von uns fällt es allerdings gar nicht so leicht, diese Frage nach den eigenen Werten und Bedürfnissen zu beantworten. Aber woran liegt das eigentlich? Ein häufiger Grund ist, weil es unseren Eltern schon nicht leichtgefallen ist. Und deren Eltern und so weiter.

Es war lange Zeit überhaupt nicht von gesellschaftlichem Interesse, dass der/die Einzelne die eigenen, individuellen Werte und Bedürfnisse kennt und verwirklicht.

Die Strukturen waren hierarchisch. Es gab einen Werte-Kodex für alle. Bedürfnisse waren der Funktion der Gruppe und deren strukturerhaltenden Regeln unterzuordnen. So haben nur die wenigsten von ihren Eltern vermittelt bekommen, dass auch sie ganz persönliche und individuelle Grenzen haben, die an ihre eigenen und ganz persönlich individuellen Bedürfnisse und Werte geknüpft sind. Stattdessen hörten viele von uns verallgemeinerte, unpersönliche Aussagen und Regeln wie: „Das macht MAN so! Das macht MAN so nicht!“. Dass wir als Mensch persönliche Grenzen haben und auch setzen dürfen, geht bei solchen allgemeinen Formulierungen vollkommen unter.

Die Zeiten dürfen sich ändern!

Wir alle sind eingeladen, neu zu denken, weiter zu gehen und zu erkunden. Es ist sehr wertvoll, sich für die Frage nach den eigenen Werten und Bedürfnissen Zeit zu nehmen, denn so finden wir heraus, was uns im Leben Kraft und Energie schenkt, was uns mit Sinn erfüllt und was wir brauchen, um uns vollkommen sicher und lebendig zu fühlen. Es ist ok, wenn wir zunächst ein wenig überfordert sind. Es ist vielleicht noch ungewohnt. Wie kann sich diese Überforderung anfühlen? „Ich weiß überhaupt nicht, wer ich eigentlich bin“, „Ich werde andauernd missverstanden“.

Doch bitte nicht aufgeben. Dranbleiben 🙂

Wenn wir eine Antwort darauf gefunden haben, was es ist, das uns schützenswert erscheint, kann das konkret beispielsweise so aussehen:

Ich merke, dass ich regelmäßige Ruhe- und Entspannungsphasen brauche und möchte, um mit Stress umgehen zu können, der im Alltag auf mich wartet. Besonders entspannend finde ich es, in Ruhe ein Buch zu lesen, Laufen/Spazieren zu gehen, etwas Kreatives zu machen… Meistens sehne ich mich nach dieser Entspannung in der Früh/ am späten Nachmittag oder aber auch am Wochenende. Ergo: habe ich zu viele weitere Verpflichtungen oder Anfragen (auch von Freunden) für den späten Nachmittag/ das Wochenende, sodass ich mir diese Ruhephasen nicht nehmen kann, sage ich etwas ab, disponiere um, oder nehme mich etwas zurück.

Das ist ein Anfang. Ein sehr guter sogar. Sobald wir uns klarer werden, was uns wichtig ist, was uns guttut und was wir brauchen, erlangen wir ein neues Maß an SelbstBEWUSSTsein. Wir verstehen uns selbst besser, weil wir nachvollziehen, welche Kräfte uns motivieren, zu tun, was wir tun. Was uns Kraft kostet.

Was aber tun, wenn es uns immer noch schwerfällt, die eigenen Grenzen zu wahren, OBWOHL wir sie genau kennen?

Dann dürfen wir uns eine weitere Frage stellen:

Was ist mir WICHTIGER?

Hier entdecken wir, dass wir unsere eigenen Werte und Bedürfnisse priorisieren und strukturieren und weiteren Werten und Bedürfnissen unterordnen – sowohl den eigenen als auch denen anderer Menschen.

Mir ist Ruhe und Entspannung am Wochenende wichtig. Gleichzeitig möchte ich auch Austausch und Kontakt mit meinen Freunden/ der Familie. Oder: Ich brauche Ruhe, aber mein*e Partner*in möchte meine Hilfe/ Unterstützung.

Nicht selten fühlen wir uns auch verantwortlich für die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers und können daher schlecht damit umgehen, wenn jemand Anderes auf unsere Grenzen „unangenehm“ reagiert – vielleicht verärgert ist oder enttäuscht. Wir nehmen das vielleicht als Zurückweisung wahr. Es kann dann sein, dass es uns wichtiger ist, diesen möglichen Reaktionen aus dem Weg zu gehen. Und mit wichtiger meine ich hier – es ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die wir bisher erlernt haben, mit solchen Situationen umzugehen. Das bedeutet also, das dieser Umgang mit „Bedürfnis- und Wertedifferenzen“ oftmals kein bewusster und „freier“ Prozess ist. An dieser Stelle möchte ich sagen: es ist sehr befreiend, zu spüren und zu lernen, wie wir solche Verstrickungen lösen können. Denn nichts anderes ist das.

Wichtig an dieser Stelle ist es also, zu erkennen:
Woran liegt es genau, dass ich meine Grenzen regelmäßig überschreite?

Die Antwort liegt dabei nie im Außen. Es ist, weil uns etwas anderes noch wichtiger ist, weil wir andere Bedürfnisse noch darüber stellen. Es ist vielleicht, weil wir bisher nur bestimmte Strategien kennen, um unseren Bedürfnissen nachzugehen, die sich mit anderen nicht gut vertragen. Oder es ist so, weil wir noch stark mit anderen verstrickt sind, und es uns schwer fällt, damit umzugehen. Wenn wir das erkennen und entdecken, was es ist, können wir nach neuen Lösungen suchen. Wir können uns fragen: Wie kann ich das eine mit dem anderen abstimmen? Was ist am Ende WIRKLICH wichtiger? Was darf ich neu entscheiden für mich und den Umgang mit mir und anderen, was langfristig mehr Klarheit, Leichtigkeit und Kraft mit sich bringt? Und wir können uns aus mentalen Verstrickungen lösen, weil wir sie genau durch diese Art des Reflektierens entdecken.

Und dann?

Über die Grenzen hinaus hin zur Verbindung

Grenzen setzen ist ein Schritt auf uns selbst zu. Es ist ein Ja zu unserem Nein. Eine Klarheit auf das bezogen, was für uns nicht in Ordnung ist. Es macht uns unabhängiger, kann dadurch also befreiend wirken. Wenn wir allerdings beim „Grenzen-ziehen“ bleiben, dann kann das auf Dauer ein seltsames Gefühl der Einsamkeit entstehen lassen. Das passiert dann, wenn es unsere einzige Strategie bleibt, uns von bestimmten Umständen oder von anderen Menschen ABzugrenzen, sobald etwas vorfällt, was für uns nicht in Ordnung ist. Sobald der andere sich in einer Weise verhält, die uns nicht guttut oder unsere Bedürfnisse nicht erfüllt. Es entsteht möglicherweise ein Gefühl des „Nicht-angenommen-Seins“, wie wir wirklich sind. Denn wir spüren, dass wir in solchen Momenten – wenn wir sie mit Menschen erleben, die uns lieb sind – eigentlich noch etwas anderes wollen als AbGRENZung. Wir wollen Verständnis für unser Nein, wir wollen Verbindung.

Die eigenen Grenzen zu zeigen, heißt: DAS will ich NICHT! Der nächste Schritt auf uns selbst UND den anderen zu ist, zu formulieren, was wir stattdessen gerne wollen, was wir uns wünschen, was wir brauchen. Die eigenen Bedürfnisse zu formulieren, bedeutet ein Ja zu unserem eigenen Ja. Es heißt: DAS will ich! Hier entsteht Raum und Möglichkeit für echte Verbindung.

Ganz viele Menschen – und wow, ja, da zähle ich mich auch sowas von dazu – haben nicht gelernt, mit ihren Werten und Bedürfnissen in Kontakt mit anderen so umzugehen. Aber wir können das JETZT! Ich weiß das. Ein Nein zu unserem Nein und ein Ja zu unserem Ja so zu formulieren, dass es klar ist und gleichzeitig die Zuversicht auf Verbindung hin in sich trägt – das ist für viele eine klare und große Herausforderung. Es ist ein Kernpunkt meiner Arbeit hier. Und ich feiere die Momente, in denen ein weiterer Teil dieser Klarheit und Zuversicht in anderen Menschen und in mir selbst aufblüht.

Vielen Dank liebe Rosa-Maria für deinen Beitrag zu den Montags-Impulsen.  

Als Leser*in wünsche ich dir ein gutes Gespür für deine Grenzen, um echtere Verbindungen zu ermöglichen,
Katja

 

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