Agilität oder wieviel Leben steckt noch in unserer Arbeit?

Montags-Impuls_ Agilität

Ich befinde mich gerade im wunderschönen Wipptal beim Yoga & Wander Retreat von Salty Elephants. Dazu erfährst du kommende Woche mehr. 

Heute erwartet dich ein Gastbeitrag von Ulrich Ratsch, Teamleiter R&D bei der Hettich Group und Agile Coach. Ulrich sagt, er ist durch Zufall, Intuition und Glück zu seiner Leidenschaft gekommen: Agilität.

Der Zufall wollte, dass Ulrich vor etwas 8 Jahren das erste Mal in einem Manager-Magazin über Scrum in der Software-Industrie gelesen hat. Seine Intuition sprang sofort an und signalisierte ihm, dass er über etwas gestolpert ist, was ihm und seinem Team im Arbeitsalltag helfen könnte… gleichzeitig schon ganz tief in ihm verwurzelt ist und warum er seinen Leistungssport so liebt und weiterhin aktiv betreibt: Die tiefe Verbundenheit mit dem Leben durch die immer wiederkehrenden Schleifen des Ausprobierens und Anpassens, um sich zu entwickeln und besser zu werden. Erst heute im Rückspiegel kann Ulrich das so formulieren. Damals war es reines Bauchgefühl ohne sprachliche Manifestation.

Bei der Umsetzung half Ulrich vor 6 Jahren schließlich das Glück, als er ein Team von Entwicklungs-Ingenieuren übernehmen durfte und das Vertrauen und den Gestaltungsfreiraum von seiner Führungskraft für die Einführung agiler Prinzipien bekam.

Mit 54 Jahren ist Ulrich leidenschaftlicher Sportler und ein großer Fan von Roadtrips durch die USA. Dort hat er einige der schönsten Erinnerungsmomente mit seiner Frau und Tochter erlebt. 

Seine Perspektive auf Agilität teilt Ulrich in diesem Gastbeitrag: 

Unsere Welt verändert sich rasant. Gefühlt wird alles komplexer, digitaler, globaler und einfach nur schneller. Jeder spürt das am eigenen Leib. In der Wirtschaftswelt gibt es dafür seit den 90er Jahren auch ein schickes Akronym: VUCA – steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität bzw. Widersprüchlichkeit.

Aber jetzt mal ehrlich: War das Leben nicht immer schon unsicher?
Haben wir heute nicht viel mehr Möglichkeiten, um der steigenden Komplexität zu begegnen?
Kämpfen wir uns nicht schon immer durch Mehrdeutigkeiten, die uns das Leben auftischt? Corona lässt grüßen!

Privat scheinen wir mit dieser Komplexität auch gut klarzukommen und passen unsere Lebenspläne je nach wechselnden Rahmenbedingungen an. Wir treffen die Liebe unseres Lebens, gründen Familien, bauen Häuser, ziehen Kinder groß, engagieren uns in Vereinen und planen unglaubliche Urlaubsreisen. Der Verlust wichtiger Menschen, ein schwerer Unfall oder eine Scheidung machen uns sehr betroffen, doch selbst diese einschneidenden Ereignisse werfen die meisten Menschen nicht zeitlebens aus der Bahn. Menschen sind systemintelligent und passen sich dem veränderten Umfeld und Rahmenbedingungen an. Wir spüren instinktiv, dass Leben nicht die Abwesenheit von Problemen bedeutet.

Nur beruflich verlieren wir offenbar den klaren Blick dafür. Obwohl in Unternehmen ein Change den nächsten jagt, wird unsere Arbeitszufriedenheit nicht besser. Da helfen weder die schicke Chill-out-Ecke noch der Kickertisch in der Firma. Nach der neuesten Gallup-Studie zur Mitarbeiterbindung sind 82% der Menschen emotional nicht oder nur wenig an ihren Arbeitgeber gebunden. Durchschnittlich sind die meisten arbeitenden Menschen also zu einem enormen Teil des Lebens mit einer Tätigkeit beschäftigt, die ihnen relativ gleichgültig ist. Das macht mich traurig. Es ist kein Wunder, dass sich so viele Menschen nach mehr Work-Life-Balance sehnen.

Wie funktioniert „Leben“?

Leben im ursprünglichen Sinn hat keinen Masterplan. Jeder Evolutionsbiologe kann bestätigen, dass die Entwicklung des Lebens völlig anders aussehen könnte, wenn wir einfach mal ein paar Millionen Jahre in der Geschichte zurückspulen dürften. Leben strebt immer nach bester Anpassungsfähigkeit und erzeugt mit erstaunlich wenigen Zutaten eine ungeheure Komplexität. Eine Komplexität, die notwendig ist, um den ständig wechselnden Rahmenbedingungen entgegenzutreten. Ist es nicht faszinierend: Für das Leben ist immer der Weg das Ziel. Immer wiederkehrend werden in iterativen Zyklen Gene angepasst und umgestaltet, um noch besser anpassungsfähig zu sein – mit dem Ziel, eine Art möglichst lange im Laufe der Zeit am Leben zu halten. Diese einzelnen Schritte sind so klein, dass sie als Veränderung kaum wahrgenommen werden, im Laufe der Jahrtausende eine Art aber völlig umgestalten können. Mich erinnert das ein bisschen an das Buch „Das unendliche Spiel“ (Werbung) von Simon Sinek, in dem er erklärt, warum es nicht um Gewinnen oder Verlieren geht, sondern darum, wie lange man im Spiel bleibt.

„If we are obsessed with winning, we´ll do anything to win.
It´s better to lose the game, learn where we could be better
and come back again, again and again.“
(Simon Sinek – The Infinite Game)

Agilität als „Lebenszutat“ in der Arbeitswelt

Damit bin ich bei meinem beruflichen Leidenschaftsthema: Agilität. Kaum ein Begriff wurde in der letzten Dekade durch Unternehmensberatungen mehr gehypt. Wir sprechen im Businesskontext oft über Agilität, als wenn es eine eigene Wissenschaft ist. Ein Laie würde manchen Gesprächen nicht folgen können, in denen über Impediments im letzten Sprint gesprochen wird, die der Scrum-Master in der Retro anhand des Knicks im Burn-Down-Chart erkennen konnte und in der nächsten Iteration mit dem Team lösen wird.

Frameworks, Tools, Methoden und Coachings werden inflationär in die Unternehmen gekippt, in der Hoffnung dem VUCA-Geist ein Schnippchen zu schlagen. Es wird von Mindset, Werten und Prinzipien geredet. Agilität bringt Offenheit, Commitment, Fokus, Mut und Transparenz in die Firmen zurück.

Das alles mag ja stimmen, hat mich aber nie in der Tiefe berührt. Erst als mir Katja kürzlich mitten in einem Purpose-Coaching bei der Entdeckung meines persönlichen Wofürs ganz platt die Frage gestellt hat, warum ich mich denn nun für das Thema begeistere, polterte die Antwort ziemlich einfach und banal heraus: Agilität bringt wieder Leben in die Arbeitswelt.

Wir bringen durch agile Frameworks wie Scrum die Prinzipien des Lebens wieder in die Unternehmen und machen unsere Arbeit und uns selbst dadurch wieder lebendiger. Es macht uns wieder sensibel für die notwendige kleine Veränderung, die wir so gern verdrängen, weil wir „auf Arbeit“ mehr Ruhe haben wollen. Es ist unbequem, in kurzen iterativen Schleifen zu erkennen, dass man auf dem Holzweg war. Aber gleichzeitig macht uns genau dieses Vorgehen wieder bewusst, dass unser Leben ständig aus Veränderung besteht. Es weckt die Neugier auf Neues, auf Unerforschtes und vielleicht auch auf Dinge, aus denen wir lernen können. Und es rettet uns vor der Situation, in der eine wirklich umwälzende Änderung notwendig wird, die immer weh tut.

Kann Arbeit denn nicht auch ein bisschen Abenteuer sein?

Ich bin der Überzeugung, dass mit dieser – vielleicht auch unbewussten – Erkenntnis Agilität in manchen Unternehmen erfolgreich ist, während andere das Experiment schnell abbrechen. Das Scheitern beruht meist auf dem unreflektierten Einführen von Prozessen und Routinen und dem Schaffen von Cargo-Kult. Die erfolgreichen Unternehmen sind bereits wie ein lebendiger Organismus unterwegs, der sich evolutionär immer weiterentwickelt, ohne je die optimale Form zu erreichen und auch nicht den Anspruch darauf zu haben. Immer mit dem Ziel, möglichst lange im Spiel zu bleiben und das Abenteuer „Leben“ zu wagen.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat:

„Wenn du glaubst, das Abenteuer sei gefährlich,
versuche Routine: Sie ist tödlich.“
(Paulo Coelho)

Wenn du Interesse hast, dich mit Ulrich Ratsch zum Thema Agilität und seinen Erfahrungen auszutauschen, dann kontaktiere ihn gern per Linked In oder Email.

Lieber Ulrich, ich danke dir für diesen wertvollen Beitrag und dass du deine Perspektive und Gedanken mit den Leser:innen der Montags-Impulse teilst.

Ich wünsche uns allen mehr Lebendigkeit im Arbeitsalltag,
Katja

P.S. Du bist interessiert an einem PurposeCoaching? In meinem Online-Kalender kannst du dir einen Termin für ein virtuelles Erstgespräch buchen. Ab November biete ich wieder EinzelCoachings an. Alternativ kannst du auch gern über The Purpose Network einen passenden Coach in deiner Nähe suchen.

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