Vom Mut den goldenen Käfig „verbeamtet“ zu verlassen. Testimonial Vera Völker

Montags-Impuls #349 Goldenen Käfig

Vera Völker war in leitender Position in der Stadtentwicklung, im Öffentlichen Dienst, tätig. Eine sinnhafte Aufgabe und ein sicherer Job. Doch innerlich gab es eine andere Gewissheit: ‚Das alles, was ich habe … diesen goldenen Käfig … den habe ich nie angestrebt.‘

Liebe Vera, was hat Dich dazu bewegt ein BerufungsCoaching in Anspruch zu nehmen?

Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, was ein Berufungscoaching eigentlich ist. Doch ich war in meiner Situation so eingefahren, dass ich nicht mehr wusste, wie ich die vielen Bälle im Alltag jonglieren soll.

Im Leben hängt ja immer alles zusammen. Die verschiedenen Lebensbereiche lassen sich nicht wirklich trennen. Es gab viele Schrauben, an denen ich nicht drehen konnte und wollte. Doch der Beruf war die Stellschraube, an der ich irgendwie drehen musste.

Dafür brauchte ich jemand, der außerhalb meiner Bubble ist. Ich wollte nicht schon wieder mit meinem Partner oder mit noch einer Freundin über das Thema reden. Ich wollte jemanden, der einen unvoreingenommenen Blick von außen hat. Mir war klar, dass ich diese Herausforderung nur mit professioneller Hilfe gewuppt bekomme.

Bei Dir bin ich auf Empfehlung einer Bekannten gelandet, die selbst als Coach arbeitet [Danke Gunda, Tibelius Coaching]. Sie meinte: ‚Vielleicht bist Du genau die Richtige, die mich da begleiten könnte?‘ Was sich ja bestätigt hat. Mich im alltäglichen Wahnsinn auf das Coaching und damit auf mich selbst einzulassen, und bei Dir „gelandet“ zu sein, war eine der besten Entscheidungen 2022.

Ich durfte Dich von März bis November 2022 auf Deinem Weg begleiten, in sieben virtuellen Coaching Sessions. Kannst Du Dich noch erinnern, was für Dich die Schlüsselmomente in diesem Berufung-Coaching waren?

Ich würde nicht sagen, dass es die EINE Sitzung oder der EINE Moment war. Es war eher der Prozess. Jeder Schritt hat sehr viel angeregt und angestoßen.

In den ersten beiden Sessions hatte ich echt das Gefühl, dass ich eher eine Therapie als ein Coaching bräuchte. Da waren alle Schleusen bei mir offen, da rollten die Tränen und alles musste irgendwie raus.

Erst dachte ich: ‚Du kennst diese Person noch gar nicht und jetzt fängst du da an, so zu heulen und so loszulassen…‘ Aber ja, es war nötig. Als das alles durch war, war ich absolut im Stande, konstruktiv an meiner Fragestellung zu arbeiten.

In den letzten beiden Sessions war klar: ‚Ich habe die Lösung parat und ich weiß eigentlich genau, was jetzt dran ist.‘ Dieses Ende war ein diametraler Unterschied zu dem, wie ich in das Coaching reingegangen bin.

Mit welchen Erkenntnissen bist Du aus dem Coaching gegangen?

Für mich war es eine der wichtigsten Entscheidungen, dass ich das Coaching mit Dir mache. Mir wirklich aktiv Hilfe zu holen, nicht nur im Sinne von einem Freundschaftsdienst, sondern mir zuzugestehen: ‚Ich lasse das zu, ich lasse diesen Prozess zu und ich lasse Leute zu, die mir in dieser schwierigen Situation weiterhelfen, wenn alles mal wieder zu viel wird. Ich brauche jetzt jemanden, der mit mir durch diese Phase geht.‘

Die Erkenntnis war eigentlich, dass man sich regelmäßig coachen lassen sollte, wenn einem das irgendwie möglich ist. Völlig egal, wo Du arbeitest oder in welcher Position. Also grundsätzlich, dass Coaching viel, viel mehr Leute machen sollten. Nicht nur die Prozesse in Projekten, mit dem Partner oder den Kindern, sondern den Prozess der eigenen Entwicklung wichtig zu nehmen. Wenn Du merkst, dass Du selbst etwas ändern musst, das anzunehmen und anzugehen.

Als wir uns begegnet sind, warst Du laut eigener Aussage „im goldenen Käfig“: verbeamtet, in leitender Funktion in der Stadtentwicklung auf Landesebene tätig. Was hat Dich dazu bewegt, Deine sichere Position aufzugeben und Dir ein neues Wirkungsfeld zu suchen?

In mir gab es eine Gewissheit: ‚Das alles, was Du hast … diesen goldenen Käfig … das hast Du nie angestrebt.‘ Da war dieses tiefe Empfinden, dass ich da in was reingeraten bin, was nicht unbedingt meiner Persönlichkeit entspricht. Die Notwendigkeit der Sicherheit wurde mir eher von anderen eingeredet … weil ich eine große Familie habe, in Stuttgart wohne … und wer weiß was. Doch ich persönlich brauche diese Art von Sicherheit nicht.

Was mich ‚gekillt‘ hat, war das negative Umfeld. Fast nur noch Menschen um mich herum zu haben, die Probleme suchen statt Lösungen, die eher auf Funktionen und Positionen schauen anstatt auf die Inhalte in den Aufgaben. Irgendwann ist mir klar geworden: ‚Das geht so nicht mehr‘. Das war der Käfig … auch wenn er recht golden und gut bezahlt war.

Hattest Du das Gefühl, Dich verbiegen zu müssen, um da irgendwie reinzupassen?

Ich glaube, es war kein Verbiegen. Die Leute wollten oft das wahre Ich von mir. Mir wurde immer wieder gesagt: ‚Vera, das ist ja toll, dass es auch in der Verwaltung so Leute gibt wie dich!‘

Irgendwann wurde mir klar: ‚Nein, ihr braucht kein Enfant Terrible wie mich, wenn ihr nichts ändert. Ich kann eure negativen Gedanken wirklich nicht mehr mittragen und ich will nicht so werden.‘ Das bin einfach nicht ich.

Du hattest einen sicheren Job, Du bist Mutter von drei Kindern … . Und Du bist Deinem Herzen gefolgt. Wie hast Du diesen Weg für Dich passend gestaltet?

In meinem Empfinden habe ich das Coaching mit Dir aktiv genutzt, aber ich habe diesen Weg gar nicht bewusst aktiv gestaltet. Ich bin eher in ein „get lost“ gegangen. Aus dem Bauchgefühl heraus habe ich die Situation komplett abgebrochen und allen gesagt: „Tschüss, ich gehe jetzt!“

Ich wusste ja ungefähr wo ich hinwollte. Mit Deiner Hilfe habe ich mich aktiv darauf zu bewegt und die Kontakte und Netzwerke um mich herum bewusster wahrgenommen. Das waren gar nicht so viele. Aber eines von den Netzwerken habe ich angezapft, mich mit einem Mentor getroffen und entschieden: ‚Ich gehe jetzt diesen Schritt, ohne wirklich viel auf die Konsequenzen zu achten oder genau zu wissen, was dann kommt.‘

Zur Aussteigerin bin ich dennoch nicht geworden. Zwar habe ich selbst die Verwaltung verlassen, doch ich arbeite weiterhin für Verwaltungen und berate unter anderem auch meine alten Brötchengeber.

Als ich die Entscheidung getroffen habe loszugehen, kamen auch im Privaten noch einige heftige Schicksalsschläge dazu. Mein Vater ist gestorben. Einige meiner Freunde und Kollegen sind schwer krank geworden. Ganz, ganz krasse Sachen …

Deshalb kann ich gar nicht mehr so genau sagen, wie ich den Weg gestaltet habe. Das eine hat das andere ergeben. Dann tauchten ganz viele Hindernisse auf. Ich musste mich immer wieder auf etwas anderes einstellen. Mit jedem neuen Ereignis, musste ich neu priorisieren. Ehrenamtlich habe ich mich in der Kita zurückgezogen. Aber ich habe nicht bewusst mein Leben umgekrempelt. Ich bin den Weg einfach weitergegangen, mit einem guten Gefühl, weil ich meine klare Entscheidung getroffen hatte. Daraus habe ich ganz, ganz viel Stärke gewonnen.

Welche Resonanz hat Deine Entscheidung in Deinem Umfeld ausgelöst?

Es war sehr witzig. Im beruflichen Netzwerk gab es viele, die gesagt haben: ‚Boah, wahnsinnig. Ich bewundere Deinen Mut. Ich würde mich das überhaupt nicht trauen, das so zu machen wie Du.‘ Andere meinten: ‚Ich verstehe das gar nicht. Sie verdienen doch dann viel weniger. Sie sind doch in einer super Position hier. Sie können doch diese Sicherheit nicht aufgeben.‘ Die Resonanz im beruflichen Umfeld war also ganz unterschiedlich.

Im Freundeskreis ist mir bewusst geworden, dass sich viele Leute verändert haben. Ich weiß nicht, ob das bei Frauen in meinem Alter so üblich ist. Viele meiner Freundinnen haben nochmal einen echten Hebel umgelegt. Von denen kam wirklich nur Verständnis für meine Entscheidung: ‚Das ist der logische Weg und das, wo Du jetzt hingehst, passt total zu Dir!‘

Und mein Partner musste es einfach mitmachen. [Lacht] Doch er hat absolut hinter mir gestanden. Von ihm fühlte ich mich bestärkt: ‚Mach‘ das! Hauptsache, du bist glücklich.‘ Mit meiner Entscheidung haben sich auch unsere beruflichen Wege wieder ein bisschen getrennt. Vorher gab es einiges an Verflechtungswegen und der Beruf war oft Thema zwischen uns. Das hat sich zum Glück auch verändert.

Unter dem Strich würde ich sagen: 90% der Reaktionen waren positiv. 10% waren nicht unbedingt negativ, aber fassungslos.

Was bedeutet das eigentlich konkret, seinen Beamtenstatus aufzugeben? Mit welchen Konsequenzen ist das verbunden?

Damit, dass Du im Grunde Deine Altersvorsorge „ins Knie fickst“ … um das mal so ganz deutlich zu sagen. Altersvorsorgetechnisch ist das eine echte Katastrophe. Doch ein wesentlicher Aspekt der Altersvorsorge ist die Gesundheit. Das wurde mir im letzten Jahr überdeutlich vor Augen geführt.

Viele erwarten, dass ich jetzt in der freien Wirtschaft deutlich mehr verdiene. Ich bin jedoch nicht in der Unternehmensberatung unterwegs, sondern im gesellschaftlich-sozial beratenden Umfeld. Konkret habe ich im Monat 1.500 € weniger. Das möchte ich mal transparent machen. Das ist viel Geld. Als Beamtin zahlst du viel, viel weniger Steuern. Zuletzt hatte ich einen Job in der Landesverwaltung, der sehr gut bezahlt war.

Du bist seit März 2023 zurück in der freien Wirtschaft, wie hat sich Deine Arbeit verändert? Wie schaust Du rückblickend auf Deine Entscheidung?

Es hat sich sehr viel verändert. Ich arbeite jetzt so, wie ich es immer wollte: Sehr intuitiv, beratend, strategisch und auch improvisierend. Vor allem habe ich ein positives Team. Ich umgebe mich mit Menschen, die einfach Lust haben, zu gestalten, gute Projekte zu machen und voranzubringen.

Wir arbeiten hauptsächlich für Menschen in Verwaltungen, die so nicht arbeiten können bzw. dürfen. Genau das, wo ich vorher herkam: ‚Ich darf das nicht sagen. Ich soll so nicht arbeiten. Ich muss irgendwelche Hierarchien beachten.‘

Die Arbeit ist nach wie vor anstrengend. Der Tag ist immer voll. Es ist weiterhin alles durchgetaktet. Aber ich arbeite so, wie ich es will: Mit ganz viel Bauchgefühl und ganz viel Unterstützung. So fällt es mir auch nicht schwer, mich irgendwo hinzustellen und Verantwortung auf mich zu nehmen. Oder den Kopf hinzuhalten und Fehler einzugestehen.

Es geht mehr um Führung. Meine Rolle hat sich total geändert. Vorher war ich die kreative Chaotin. Jetzt habe ich ganz viele tolle junge, kreative Chaoten um mich herum und bin eher diejenige, die die Ruhe, Struktur und Information reinbringt. Da war eine Lücke und eine neue Rolle, die ich vorher noch nie innehatte.

Wozu willst Du mit Deiner Arbeit beitragen?

Wir gestalten Veranstaltungen, Konzepte und Beteiligungsprozesse für Stadtentwicklungsprojekte, also für große Bauvorhaben und große Planungen von Städten. Oft kommen wir in schwierige Situationen, in denen Partizipation oder Beteiligung gescheitert ist. In denen es Konflikte gibt. In denen Akteure nicht mehr zusammenfinden. In denen nicht eine Sprache gesprochen wird. In diesen Zusammenhängen sind wir die neutralen Dritten. Vom Hintergrund her bin ich auch diejenige, die diese Konzepte für Stadtentwicklung und Bauvorhaben erstellen könnte. Ein Teil unserer Arbeit ist auch konzeptionell. Doch vorrangig geht es um Beteiligung.

Das bedeutet, dass wir uns Prozesse überlegen, wie schwierige Planung und Bauvorhaben überhaupt noch funktionieren können. Zum Beispiel indem wir mit allen möglichen Akteuren auf den verschiedenen Ebenen reden, die Bürger:innen einbeziehen und multimedial, auf allen möglichen Wegen versuchen, unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Wir dolmetschen viel. Wir übersetzen zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft, quasi im Trialog. Das Anliegen ist im Austausch alle mitzunehmen und allen den Mehrwert dessen, was da am Ende entsteht, näherzubringen und auch klarzumachen: Wo kann ich mich beteiligen? Wo kann ich mich einmischen? Und wo ist vielleicht auch eine Grenze. Wo geht das nicht oder wo macht das keinen Sinn, sondern führt eher ins Chaos oder in unproduktive Zusammenarbeit?

Was begeistert Dich besonders in Deiner Arbeit?

Ich mag dieses strategische Denken: Wie erreichst du die Leute? Wo musst du sie abholen? Mit welcher Aktion? Machst du jetzt den zehnten riesigen Bürgerdialog, der abends stattfindet, wenn Leute, die Kinder haben, nicht können oder Studenten keinen Bock haben und wo immer die gleichen, pensionierten Leute sitzen? Also Wege zu finden: Wie kannst du zu den Leuten kommen? Und in welcher Sprache begegnest du ihnen?

Oft werden die Dinge so technisiert dargestellt oder in einer Fachsprache verkauft, die keiner versteht. Mich begeistert es, wenn wir vermitteln können. Wenn ich den Mehrwert einer Planung oder eines Projektes genau den Leuten nahebringen kann, die ursprünglich die Gegner:innen dieses Projektes sind. Zu merken, dass es sinnvoll ist, sich manchmal auf jahrelange Prozesse einzulassen, um die Dinge am Ende gut hinzustellen.

Damit setze ich mich für Gerechtigkeit ein. Dafür, dass die gebaute Umwelt irgendwann zu den Menschen passt, dass wir uns darin wohlfühlen. Das läuft nicht, ohne die Menschen mitzunehmen. Die Menschen sind aber nicht nur die Bürger:innen, auch nicht nur die Politik und die Verwaltung, sondern es gibt auch noch Fachplaner:innen. Es gilt so viele unterschiedliche Menschen auf dem Weg zu einem Projekt mitzunehmen, damit es im Endeffekt akzeptiert wird.

Mir geht es darum, das gesellschaftliche Fundament für Entwicklung zu schaffen. Einen Bezug zur Realität einzubauen, einen Bezug zu den Menschen zu schaffen, mir erst mal anzuschauen, für wen mache ich das? Wer wohnt und lebt vor Ort? Mit einem offenen Blick reinzugehen und zu versuchen, einen recht neutralen Part zu übernehmen, alles aufzunehmen und das Ganze mit der Fachlichkeit, die ich habe, zu koppeln anstatt aus der fachlichen Perspektive allein darauf zu blicken. Eine umfassendere Perspektive einzunehmen: Was ist vor Ort das Beste für die Entwicklung?

Dafür ist es wesentlich offen und lernbereit zu bleiben. Sich in die Ungewissheit zu begeben. Mit Leuten ins Gespräch zu kommen und von den Leuten vor Ort zu lernen, weil die meistens schon die Experten und Expertinnen für ihre Viertel sind. Wir kommen viel zu oft rein und sagen, wir wissen, was wir tun. Aber eigentlich wissen die Leute vor Ort schon sehr genau, was gut für sie ist.

Was ist Deine Zukunftsvision von einer nachhaltigen Stadtentwicklung?

Meine Vision ist die gerechte Stadt. Also eine Stadt, die wirklich allen gehört, in der alle sagen und von sich behaupten können: ‚Ich fühle mich hier wohl, weil …‘ Das ist natürlich eine idealistische Vision, weil das nicht funktionieren wird. Meine Anliegen ist es eine Stadt oder Quartiere zu entwickeln, die es schaffen, unterschiedlichste Menschen zu integrieren und wieder eine Mischung herzustellen. Wo es nicht darum geht alles abzureißen und neu zu bauen, sondern im Bestand die Mischung zu erkennen und die Qualität und den Mehrwert von Mischung wiederherzustellen. Das erfordert viel Akzeptanz von allen Seiten, nicht nur im Sinne einer sozialen Mischung, sondern auch in der Mischung von Gewerbe, Wohnen und Verkehr.

Natürlich heißt eine gerechte Stadt auch zukunftsfähig zu sein, im Sinne von Klima. Ich glaube, dass die Rolle von Menschen in der Natur etwas mit Stadtentwicklung zu tun hat. Nicht nur, dass wir urbanen Menschen sagen: ‚Wir wollen mehr grün in der Stadt und weniger Autos, mehr Fassadenbegrünung und grüne Plätze‘. Das ist alles richtig. Doch es geht auch darum das Verhältnis zur Natur wieder sauber herzustellen, eine gewisse Bodenhaftung. Das ist ein weiterer Aspekt der gerechten Stadt.

Aus Deiner 15-jährige Erfahrung in der Verwaltung, gibt es Aspekte, die Dir gerade dienen und nützlich sind? Wo Du erkennst, dafür war die Zeit wertvoll?

Total viel. Die Erfahrung war auf jeden Fall wertvoll. Wenn ich mit meinen alten Brötchengebern in unterschiedlichen Kontexten zu tun habe, denke ich jedes Mal: „Oh mein Gott, bin ich froh, dass ich nicht mehr da bin!‘ Und ja, es hat mir ganz viel gebracht. Ich kann meinen jüngeren Kolleg:innen erklären, wie die Verwaltung tickt, was da gerade passiert, warum die Leute so denken und warum sie die Dinge so tun.

Ich beherrsche die Sprachen der unterschiedlichen Ebenen und Hierarchiestufen. Ich habe gelernt, wie ich mit Bürgermeister:innen spreche. Ich weiß, wie ich die Bürgerschaft erreiche. Ich vergreife mich nicht in der Sprache, weder schriftlich noch mündlich. Gleichzeitig macht mir niemand Angst. Ich habe ja auch schon mit sehr „hoch gestellten“ Persönlichkeiten zusammengearbeitet. Das sind Erfahrungen, die hätte ich nicht, ohne die jahrelange Arbeit in der Verwaltung. Deshalb blicke ich überhaupt nicht im Groll zurück. Ich sage nur, dass ich ein paar Jahre zu lang da war. Aber es hat mir wahnsinnig viel gebracht. Ich weiß, wie Planungsprozesse laufen. Ich weiß, wie Bauprozesse laufen. Ich erkenne, was das Problem ist. Und ich weiß im Zweifel auch immer, wen ich anrufen kann, wenn ich gerade nicht verstehe, was passiert.

Der öffentliche Dienst ist für viele Menschen als Berufsfeld erstrebenswert. Welche Veränderungen würdest Du Dir wünschen?

Eigentlich wäre es total sinnvoll, wenn jeder mal die Möglichkeit hätte, in der öffentlichen Verwaltung zu arbeiten. Das bedeutet ja, dass Du für das Wohl der Allgemeinheit arbeitest und das finde ich tierisch gut. Du kannst aus der Wirtschaft kommen und sagen: „Ich habe jetzt genug davon, meinem Arbeitgeber die Taschen voller Geld zu machen. Ich will mich jetzt im öffentlichen Bereich dafür einsetzen, Dinge zu tun, wo ich wirklich viel Sinnvolles machen kann.‘ Das ist meine idealistische Vorstellung vom Öffentlichen Dienst. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz. Der Öffentliche Dienst ist nicht beweglich, überhaupt kein atmendes Instrument. Es gibt einfach keine gute Personalentwicklung und wenig Aufgabenorientierung.

Ich bin als Fachfrau eingestellt worden, aber die, die am Ende überbleiben, sind die Verwaltungsfachangestellten und die Verwaltungsjuristen. Die bleiben da und die Fachleute nicht. Das ist meiner Meinung nach so, weil Verwaltung nicht aufgabenorientiert und agil arbeitet. Ich will das gar nicht pauschal auf alle Verwaltungen beziehen, aber grundsätzlich sind das große, schwere Tanker mit viel Hierarchie und Führungsstrukturen, die nicht daran orientiert sind, Personalentwicklung zu betreiben, Mitarbeitende aufgabenorientiert und zum Besten einzusetzen oder Abwechslung zu bieten. Öffentliche Verwaltung ist nicht agil und das bräuchte es, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Es ist wesentlich unterschiedliche Perspektiven kennenlernen zu können und diese in die eigene Arbeit zu tragen. Das ist wahnsinnig befruchtend.

Aus Deiner eigenen Erfahrung mit dem BerufungsCoaching, welche zwei bis drei Impulse möchtest Du Menschen mit auf den Weg geben, die sich in einer ähnlichen Ausgangslage wie Du befinden? Natürlich mit Blick darauf, dass jede:r anders ist.

Sich Einlassen auf den Prozess. Dann kommt was in Gang und in Bewegung. Tief in uns schlummert die Kraft, Veränderungen anzustoßen. Wir sind in der Lage unsere eigenen Lösungen zu entdecken, mit ein bisschen externer Hilfe. Klar ist die Lösung noch nicht da. Das ist ein Prozess. Man kann sich dem Schritt für Schritt nähern. Es fühlt sich nach einem riesigen Hindernis an, das man überspringen muss. Doch man kann ja auch Stufe für Stufe darüber klettern.

Abschlussfrage: Gibt es eine Lebensqualität, die wieder mehr Raum in Deinem Leben hat, als vorher?

Ich genieße meine private Zeit und meine Familienzeit jetzt wieder anders. Es ist gar nicht zeitlich mehr Raum. Es ist eher im aktiven Dabeisein. Ich kann mich wieder anders darauf einlassen.

Klar gibt es weiterhin Herausforderungen, doch andere. Mit dem festen Wissen, dass ich genau das mache, was jetzt für mich passt und wo ich jetzt auch hingehöre, ist das berufliche Tischbein nicht mehr wackelig, sondern trägt wieder zur Stabilität in mir und meinem Leben bei.

Mein Energielevel ist konstanter geworden. Vorher war ich entweder kurz vor dem Zusammenklappen oder ein Dura-Zellhäschen, das dann in 20 Stunden alles wegrockt. Mittlerweile gebe ich eher zu, wenn ich nach einer langen Veranstaltung oder einer schwierigen Arbeitssituation kaputt bin. Dann ziehe ich mich einen Tag raus. Das gestehe ich auch meinen Kolleg:innen zu. Ich schwanke nicht mehr zwischen Mount Everest und Mariannengraben, sondern wandere eher auf Mittelgebirgsniveau.

Für mich fühlt es sich weiterhin stimmig an, viele Bälle zu jonglieren. Wenn man so viele Dinge gleichzeitig jongliert, hat man immer ein bisschen schlechtes Gewissen. Doch ich mache nichts mehr mit schlechtem Gefühl!

Liebe Vera, ich danke Dir für Deine Offenheit und die Einblicke hinter diesen beruflichen Mutausbruch.

Liebe:r Leser:in, zu welchen neuen Blickwinkeln und Handlungsimpulsen lädt Dich dieser Montags-Impuls ein?

Ich wünsche uns allen den Mut, unserer inneren Navigationshilfe zu folgen,
Katja

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