Kritisches Denken. Eine Kernkompetenz im 21. Jahrhundert

Montags-Impuls #291 Kritisches Denken

Früher habe ich kritisches Denken mit Kritisieren verwechselt.

Doch anders als Kritik oder Bewertung geht es beim kritischen Denken darum, mit einem offenen Geist und Empathie die tieferen Ursachen für (komplexe) Sachverhalte zu ergründen. Denn selten ist die Verbindung von Ursache und Wirkung so linear, wie wir sie gern darstellen.

„Kritisches Denken ist das Denken über das Denken.
Es ist der reflektierte Umgang mit der Fehleranfälligkeit unseres Geistes und der Komplexität unserer Welt.“
(Zentrum für Kritisches Denken)

Kritisches Denken erforscht Zusammenhänge

Bei LinkedIn hat mir Joanna Prather dafür ein gutes Beispiel gegeben.

Die Annahme: Harte Arbeit bringt Erfolg!
Doch wie valide ist dieser lineare Zusammenhang tatsächlich?

1. Kenne ich Menschen, die viel arbeiten und viel haben? Ja
2. Kenne ich Menschen, die viel arbeiten und wenig haben? Ja
3. Kenne ich Menschen, die kaum oder gar nicht arbeiten und viel haben? Ja
4. Kenne ich Menschen, die kaum oder gar nicht arbeiten und wenig haben? Ebenfalls: Ja

Es muss tieferliegende Ursachen dafür geben, dass etwas, das wir tun wirklich funktioniert und uns das bringt, was wir uns wünschen.

Auch wenn etwas offensichtlich und selbstverständlich erscheint, kann es komplexer oder differenzierter sein als wir denken. Es gilt diese Komplexität und Mehrdeutigkeit in unserer Welt anzuerkennen. Die Facetten zwischen schwarz und weiß wahrzunehmen statt der Einfachheit halber auszublenden. Kritisches Denken ist enorm erkenntnisreich, wenn wir bereit sind Ungewissheit auszuhalten und uns Zeit für ein tieferes Verständnis zu nehmen.

„Wer kritisch denkt, gibt die Suche nach einfachen Antworten [und oberflächlichen Lösungen] auf.“
(vgl. Zentrum für Kritisches Denken)

Kritisches Denken überwindet den Confirmation Bias

Heutzutage sind wir konfrontiert mit einer Vielzahl an Informationen. Das digitale Zeitalter stellt uns quasi auf Knopfdruck sämtliches Wissen parat. Doch wie wir alle ahnen oder selbst schon erfahren haben, sind Informationen nicht immer Fakten, sondern häufig Meinungen.

„Jede und jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung,
aber nicht auf eigene Fakten.“
(Die Meinung von Eckart von Hirschhausen zum neuen Weltklimaberichts)

In den sozialen Medien bedienen Algorithmen unser Bedürfnis die eigene Meinungen bestätigt zu sehen und zu hören. Dem zugrunde liegt der sogenannte Confirmation Bias, auch Bestätigungsfehler genannt.

Der Confirmation Bias ist eine Form von kognitiver Verzerrung und eine meist unbewusste Tendenz uns selektiv auf die Informationen zu fokussieren, die mit unserer eigenen Sichtweise und Meinung übereinstimmen.

Dabei sind verschiedene Prozesse am Werk, meist im Zusammenspiel.

Ein Beispiel dazu:

Nehmen wir an, du bist der Meinung, dass eine vegane Ernährung schlecht für die Gesundheit ist. Vermutlich wirst du auf eine selektive Suche nach Informationen gehen, z.B. „Veganismus ungesund“ als Suchbegriff eingeben statt neutrale Formulierungen. Die Suchergebnisse werden deine Meinung fast ausschließlich bestätigen.

Falls in den Suchergebnissen Quellen auftauchen, die positive Auswirkung einer veganen Ernährungsweise beschreiben, wirst du diese eher ignorieren und deinen Fokus auf die Quellen richten, die dich in deiner Meinung bestärken.

Ein weiterer Fallstrick des Confirmation Bias liegt in der Gewichtung. Angenommen, du liest zwei Studien, bei denen eine auf negative Auswirkungen von Veganismus eingeht und eine andere auf positive Auswirkungen. Wir tendieren dazu, Argumente und Informationen, die unsere Sichtweise bestätigen als relevanter, bedeutsamer oder besser anzusehen als diejenigen, die unserer Haltung widersprechen.

Wer liebt es nicht?
Recht zu haben und sich in der eigenen Meinung bestätigt zu fühlen. Kritisches Denken erfordert die Offenheit und Bereitschaft, eigene Annahmen, Meinungen und  Überzeugungen bis hin zu unserem Selbst- und Weltbild zu hinterfragen und zu ändern. Intellektuelle Demut. Besonders herausfordernd wird das, wenn die Themen emotional aufgeladen sind.

„Ich wünsche mir weniger Menschen, die anderen beweisen wollen, dass sie falsch liegen. Dafür umso mehr, die sich selbst hinterfragen, ob sie eigentlich richtig liegen.“
(Philippe Rogge)

Kritisches Denken erfordert Selbstregulation

Die Philosophie der Aufklärung hatte den Menschen als Vernunftswesen bestimmt. Jedoch sind wir wenn überhaupt eher vernunftsbegabt. Ob wir von dieser Begabung Gebrauch machen können, hängt vorrangig mit unserer Fähigkeit zur emotionalen und körperlichen Selbstregulation zusammen.

„Unsere Emotionalität anzuerkennen, ist das rationalste,
was wir als Spezies Mensch tun können.“
(Zentrum für Kritisches Denken)

Wenn wir reflektiert und kritisch denken wollen, müssen wir zunächst die körperlichen Voraussetzungen schaffen, d.h. den Körper in einen entspannten Zustand regulieren.

In diesem Zustand fällt es uns leichter eigenen Gedanken nachsichtig zuzuhören, ohne uns mit ihnen zu identifizieren. Wir lernen zwischen der Sachebene und der persönlichen Gefühlsebene zu unterscheiden und die inneren sowie äußeren Diskussionen entsprechend zu gestalten.

Kritischen Denken lädt ein zum Perspektivenwechsel

Kritisches Denken wird als die Fähigkeit selbst zu denken beschrieben.
Allerdings bedeutet das nicht, dass wir uns zum Kritischen Denken auf uns allein angewiesen sind. Ganz im Gegenteil.

Aus meiner Erfahrung erlangen wir den Blick hinter die Dinge und das Verständnis für Zusammenhänge am ehesten, wenn wir unsere Perspektive aktiv wechseln und erweitern, z.B. mithilfe der Sechs Denkhüte. Uns mit gegenteiligen Positionen auseinandersetzen. Statt allein, gemeinsam mit anderen Personen reflektieren. Die kollektive Intelligenz im Miteinander erfahren.

Erweitere deine Perspektive durch Fragen und echtes Zuhören. Fragen haben die Kraft unserem Denken eine neue Richtung zu geben. Doch nur wenn wir bereit sind mit einem offenen Geist, offenem Herzen und offenem Willen (vgl. Theory U: Open Mind – Open Heart – Open Will) zuzuhören. Auf diese Art und Weise können wir neue Perspektiven einnehmen und wahrnehmen, welche neuen Lösungen entstehen wollen.

Kritisches Denken integriert die 4 Ways of Knowing

Der Psychologe Carl G. Jung war fasziniert von der Idee unsere ganzheitliche Intelligenz anzuzapfen. Er erforschte unsere verschiedene Möglichkeiten des Wissens beziehungsweise der Erkenntnis: rational, intuitiv, emotional und somatisch.

Den Herausforderungen und der Komplexität des 21. Jahrhunderts können wir nicht mehr mit unserem dominanten rational-analytischen Denken begegnen. Es braucht eine Integration unserer vielfältigen natürlichen Intelligenzen. Weg von einer mechanistischen Logik hin zu einer Logik, die unseren lebendigen Systemen (living systems logic) gerecht wird.

Das Kritische Denken des 21. Jahrhunderts integriert die 4 Ways of Knowing im Erkenntnisprozess.

Mit welcher Fragestellung willst Du Dich in dieser Woche kritisch auseinandersetzen?
Wer oder was könnte Dich dabei unterstützen?

Ich wünsche uns den Mut, kritisch zu denken,
Katja

 

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