Wir alle haben ja so unsere Präferenzen:
Süß oder herzhaft.
Hund oder Katze.
Meer oder Berge.
Morgen oder Abend.
Klar manchmal auch beides, doch eine Tendenz zum „mag ich lieber“ gibt es meist schon.
Viele mit denen wir im Vorfeld gesprochen haben, mögen die Ostküste Korsikas lieber, besonders wegen der Sandstrände. Wir haben uns in die Westküste, insbesondere in das malerische Bergdorf Piana verliebt. Doch bis wir dort ankamen, hatten wir einige weitere Stationen auf unserer Reise über die Insel.
Restonica Tal
Von Corte aus fahren wir in das nahe gelegene Restonica Tal. Wir genießen drei Tage ganz ohne Netz. Erfrischen uns morgens in der Restonica, gehen kleinere Wandertouren, halten inne im Sein. Die Natur wird zum Spielzimmer für Mika. Er klettert immer trittsicherer über die Felsen und baut aus Stöcken und Steinen Boote und Rennstrecken.
Doch trotz Stellplatz am letzten Zipfel des lang gezogenen Campingplatzes Tuani wird es uns hier zu trubelig. Ein tägliches Kommen und Gehen. Wir treffen die Nachbarn meiner Eltern und genießen zwei schöne Abende und gute Gespräche bei leckerem korsischen Wein. Dann zieht es uns weiter an die Ostküste nach Porto Vecchio.
Hier beginnt unsere Campingplatz Hopping-Woche – alles andere als Slow Travel.
Rund um Porto Vecchio
Gelandet sind wir zunächst nördlich von Porto Vecchio. Der Name des Campingplatzes ist uns entfallen. Großartig ist, dass schon nach 10 Minuten ein Mädchen in Mikas Alter zu uns hinüber geschlichen kommt. Weitere 5 Minuten später haben die beiden Kids die Hard Facts – Name, Alter & Wohnort – ausgetauscht und laufen Hand in Hand zum Boules Platz. Abends werden vorbildlich zusammen die Zähne geputzt. Morgens wartet Mika sehnsüchtig darauf, dass Ella fertig wird mit Frühstücken.
Allerdings fühlen Paddy und ich uns unwohl auf dem Platz. Und so sagen wir Tschüss zu Ella, was uns als Eltern schwerer fällt als Mika.
Von Porto Vecchio sehen wir das Stadtzentrum nur aus dem Auto auf der Suche nach einem Parkplatz. Nach einer dreiviertel Stunde Stop & Go durch die Innenstadt haben wir die Nase voll und fahren weiter nach Piccovaggia auf einer Halbinsel vor Porto Vecchio zum Campingplatz Village la Chiappa. Uns hat eine Windsurf-Schule dort hin gezogen. Vor Ort realisieren wir: Hier ist FKK angesagt oder wie Mika feststellt: Die sind ja alle naksch.
Der Campingplatz gleicht eher einem Ressort. In der Hauptsaison gibt es Minigolf, Reiten, Yoga und Massagen. Diese Angebote sind in der Nebensaison nicht verfügbar. Dennoch ist das Campen preisintensiv. Daher wollen wir nur zwei Nächte bleiben und erhalten einen mittelmäßigem Platz zugewiesen. Mir schlägt das auf die Stimmung.
Wir spazieren am Strand entlang zur Windsurf-Schule und treffen dort Gregor aus Dortmund. Er war früher jedes Jahr mit seinen Eltern hier campen. Irgendwann wurde ihm langweilig und er begann in der Windsurfschule auszuhelfen. Dort is er hängen geblieben, wie er sagt. Er lernte seine Frau kennen. Die beiden haben zwei Kinder. Er wirkt zufrieden.
Mangels Wind leihen wir uns ein SUP aus und paddeln abwechselnd mit und ohne Mika auf dem Mittelmeer. Stand Up paddeln hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Der Blick in die Weite, das Schaukeln der Wellen, Balance halten. Die Gedanken schweigen.
Am Abend habe ich keine Lust auf Campingküche. Wir gehen im Restaurant vor Ort essen und ich versöhne mich endgültig mit dem Tag. Bei einem sagenhaften Sonnenuntergang genießen wir fantastisches Essen – ein Ensemble von Avocado-Quinoa und ein perfekt gebratenes Thunfischsteak auf schwarzem Reis mit Edamame. Zum Dessert gibt es Pistazien-Cheese-Cake mit Himbeeren. Paddy mag lieber herzhaft und so teilen zum Glück nur Mika und ich uns diesen umwerfend leckeren Nachtisch.
Am nächsten Morgen glättet ein Traktor früh um 7 Uhr den Strand … Mika und ich stehen ungläubig daneben und unser morgendliches Schwimmen im Meer fällt deutlich kürzer aus. Auch Paddy steigt irritiert aus dem Camper schüttelt mit dem Kopf angesichts dieser Ruhestörung am Morgen. Er ist kein Morgenmensch.
Der Rest des Tages verläuft unspektakulär.
Ohne Wind kein Windsurfen.
Den VW Bus wollen wir nicht umbauen, daher bleiben wir auf und um den Campingplatz.
Streicheln die Pferde, spielen Boules und springen in den Pool während im Nachbarbecken Wassergymnastik läuft.
Ich nutze den unspektakulären Tag, schreibe meinen ersten Reisebericht über Korsika und stelle gleich noch einen Gastbeitrag für die Woche danach ein.
Am Abend zieht es uns hinauf zu den Hügeln.
Hier oben wandelt der Campingplatz sein Gesicht.
Die Wohnwagen einiger Dauercamper sind stilsicher und liebevoll mit selbstgebauten Terrassen und exotischen Pflanzen aufgewertet. Alles wirkt ein wenig nach Hippie-Kommune. Wir klettern auf einen Felsen der steil zur Küste hin abfällt. Hier packen wir Baguette, Käse und Rotwein aus. Ein Picknick mit Sonnenuntergang und jeder Menge Lachen über diesen Ort und unseren Tag. Ein Familienglücksmoment.
Nachdem auch der dritte Tag windstill ist und es zudem anfängt zu regnen, fahren wir nach Süden. Unser nächstes Ziel ist Bonifacio.
Bonifacio
Hier wiederholt sich die Parkplatzsuche. Also steuern wir erstmal einen Campingplatz an. Der Stadt-Campingplatz schaut eng auf dicht aus. Auf dem Campingplatz Cavallo Morto etwas außerhalb sind wir fast alleine. Bei so viel Freiraum fällt die Entscheidung für den besten Stellplatz gar nicht leicht.
Am Nachmittag starten wir einen zweiten Anlauf nach Bonifacio und finden nach ein paar Runden im Haute Ville einen Parkplatz für den VW Bus.
Bonifacio liegt spektakulär an der Südspitze Korsikas hoch auf den Kreidefelsen. Von hier können wir über die nur 12km breite Meerenge nach Sardinien schauen. Wir erkunden die Winkel dieser Festungsstadt und biegen immer wieder in die ruhigeren Seitengassen ab. Dank des Wetters, das uns noch ein paar Gieskannen Regen beschert, sind vergleichsweise wenig Touristen unterwegs. Wir bestaunen die malerischen Kreidefelsen. Paddy und Mika begeistern sich für die Yachten im Hafen.
In mir steigt bei dem Anblick der Yachten eher Wut auf. Ich lasse den beiden ihre Begeisterung, laufe weiter und erkunde das Gefühl innerlich. Mein Gerechtigkeitsempfinden meldet sich mit der globalen Vermögensverteilung im Hinterkopf. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen. Mir ist bewusst, dass ich im Wohlstand dieser Welt lebe, doch diese krasse soziale Ungleichheit trübt mein Wohlbefinden.
U Furu
Auch Bonifacio verlassen wir nach zwei Nächten auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe. Strandnah und fußläufig zu einer Kleinstadt, viel Natur und Berge drum herum, schön angelegt und aufgeteilt so dass wir Ruhe für uns haben. Idealerweise mit Pool und Spielplatz. WIFI. Unsere Wahl fällt auf Porto.
Auf dem Weg nach Porto stoppen wir zum Mittag bei unseren Bekannten auf dem Campingplatz U Furu. Der Platz liegt im wild-romatischen Tal des Furcone-Bachs. Kurzerhand entscheiden wir eine Nacht zu bleiben und die lange Fahrt an die Westküste auf den nächsten Tag zu verlegen. Hier können wir uns mal entspannt zurücklehnen, denn Moni, Mika und Paula kennen sich schon aus Babytagen von ausgedehnten Spaziergängen. Sie sind ein Herz und eine Seele. Mika tobt durch den Pool und lernt Tischtennis spielen. Am späten Nachmittag wandern wir zu einem spektakulären Wasserfall bei dem man herrlich in den Badegumpen planschen kann. Auch wenn wir am nächsten Tag weiterfahren, sind unsere Akkus aufgeladen.
Porto
Am nächsten Tag starten wir früh nach Porto. Die Strecke ist kurvenreich und bietet wunderschöne Ausblicke auf die vielfältige Vegetation Korsikas. Die kleine Ortschaft Porto mit nur 600 Einwohner:innen liegt an der Nordwestküste zwischen Calvi und Ajaccio am gleichnamigen Golf von Porto. Dieser zählt zu den schönsten Gegenden Korsikas und ist UNESCO Weltkulturerbe.
In Porto steuern wir auf Empfehlung den Campingplatz Sole e Vista an. Hier richten wir uns ein. Nach dem Campingplatz Hopping und der Fahrerei wollen wir mal eine Woche stehen bleiben. Wir finden einen schattigen Nischenplatz mit einem atemberaubenden Blick auf die Bergkulisse. Direkt vor dem Campingplatz gibt es einen Supermarkt und Porto sowie der Strand sind fußläufig. Auch wenn der Campingplatz großzügig ist mit Pool, Spielplatz und Fußballplatz ist es hier ruhig.
Am dritten Tag bekommen wir Besuch, erneut vertraute Gesichter aus Dresden, die ebenfalls Elternzeit auf Korsika machen mit ihrer 7 Monate alten Tochter.
Gemeinsam mischen wir den Pool auf, spielen Fußball und Boules, schlendern durch die Stadt, fahren mit dem Boot zur Calanche. Am Abend stürzen sich die Jungs in die Wellen und wir genießen die Sonnenuntergänge beim Picknick am Strand. Einen Nachmittag, an dem alles schläft, wandere ich mit Paula in das Städtchen Ota.
Die Tage ziehen vorbei.
Dann fahren wir in unterschiedliche Richtungen weiter.
Unsere Freunde nach Corte.
Wir Richtung Ajaccio, von wo aus in drei Tagen unsere Fähre nach Toulon geht.
Piana
Unterwegs halten wir in Piana. Ein Bergdorf, in dessen Atmosphäre ich mich auf den ersten Blick verliebe. Hier könnte ich leben, denke ich.
Erst vor wenigen Tagen habe ich nach einer der seltenen Morgenmeditationen meine Vision von einem Eco Community Village entgegen aller Zweifel einfach mal aufgeschrieben und gezeichnet, mich mit Paddy dazu ausgetauscht. „Open Mind“ praktiziert, frei und offen Bilder auftauchen lassen.
Wir setzen unsere Fahrt fort. In Sarone, bereits eine Stunde weiter Richtung Ajaccio fällt mein Blick auf dem Weg zum Bankautomaten beiläufig auf eine Immobilienanzeige. Ich traue meinen Augen kaum: Ein weitläufiges Grundstück in den Bergen an einem Flüsschen, fußläufig zum Meer, guter Baumbestand, ein zentrales Haupthaus, mehrere kleine Nebengebäude, eine großzügige Terrasse, sogar einen Pool gibt es. In Piana am Plage d‘Arone … ich starre sprachlos auf die Anzeige. Innerlich nimmt das Bild meiner Vision Kontur an.
Diese Synchronizität zieht uns an unserem letzten Tag auf Korsika zurück nach Piana und beschert uns den schönsten Abschiedstag, den wir uns vorstellen konnten: Wir wandern durch die beeindruckenden Felsformationen der Calanche. Wir genießen am Plage d‘Arone im Café auf einem gemütlichen Himmelbett kühle Getränke und den traumhaften Blick auf das Meer. Mit Mika und Paula springe ich freudig am Strand entlang. Barfuß laufen wir durch die sprudelnden Wellen. Erfüllt fahren wir durch die Vollmondnacht zu nach Sarone zurück.
Ajaccio
Etwas k.o. vom langen Vorabend schlendern wir am nächsten Tag durch die Hauptstadt Korsikas: Ajaccio. Wir schauen uns das Geburtshaus von Napoleon Bonaparte an. Schlendern an Schaufenstern entlang, zum Shoppen haben wir keine Ambition. Die meiste Zeit verbringen wir im Café und an einem Skatepark. Um 21:30 Uhr legt unsere Fähre diesmal pünktlich nach Toulon ab.
Gefühlt befinden wir uns auf dem Heimweg obwohl noch 3,5 Wochen Reisezeit vor uns liegen.
Visionen kultivieren
Was das Eco Community Village angeht, ist das kein Projekt, das ich alleine angehen könnte und auch nichts, was sich von heute auf morgen verwirklichen lässt. Fünfzehn Jahre ist mein gefühlter Zeithorizont. Es ist utopisch und dennoch nicht unmöglich.
Es gibt einige Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld, von denen ich weiß, dass sie sich ebenfalls nach einem Ort des Lebens und Arbeitens im Miteinander und Einklang mit der Natur sehnen. Mich hat diese Synchronizität der Ereignisse auf Korsika darin bestärkt meine Vision ein paar Schritte weiter zu verfolgen und mich mit diesen Menschen intensiver dazu auszutauschen.
Meine aktuelle Lektüre
Das Buch „Über Menschen“ von Juli Zeh erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
…
Korsika hat uns eine wunderschöne Kulisse für unsere Reise geboten. Im Gepäck haben wir unzählige Lebenspuzzlestücke, die wir Tag für Tag gesammelt haben. Unvergessliche Momente und besondere Erlebnisse, die wir unterwegs erfahren haben und die uns in Erinnerung an diese wertvolle Familienzeit auf der Insel bleiben werden.
Ich wünsche dir in dieser Woche die Qualität von „open mind“ – sei offen für alles, was auftaucht,
Katja