Es geschah im dritten Modul meiner Trainerausbildung im Sommer 2018 …
Ein Aufstieg im Widerstand
Morgens um 7:30 Uhr stehen wir mit unserem Gepäck an der Seilbahn, die uns hinauf zur Alm mit Blick auf die Zugspitze bringen soll.
Dann die Hiobsbotschaft Nummer 1:
Euer Gepäck fährt mit.
Ihr geht zu Fuss.
Och nö …
Na gut.
Mein optimistischer Anteil übernimmt innerhalb von wenigen Augenblicken den Taktstab.
Eine tief verinnerlichte Strategie.
Die Sonne scheint.
Ich liebe die Natur.
Ich liebe das Wandern.
Darauf waren wir nicht vorbereitet … doch wir sind ja flexibel.
Also auf geht’s!
Da wir in einer Ausbildung für angehende Trainer:innen sind, bekommen wir noch einige Aufgaben und eine „Rolle“ für unterwegs. Jede Person trägt für die Dauer des Aufstiegs einen „Hut“ in einer bestimmten Farbe, die für unterschiedliche Qualitäten steht.
Damit folgt die Hiobsbotschaft Nummer 2:
Ich bekomme den schwarzen Hut, den Kritiker.
Nee, also wirklich nicht. Darauf habe ich jetzt so gar keinen Bock.
Nö, nö und nochmals NEIN!
Meine innere Optimistin streicht die Segel.
Ab diesem Moment habe ich schlechte Laune.
Meine Laune wird nicht besser dadurch, dass ich die Rolle inne habe, auf Fehler, Risiken und Schwachstellen hinzuweisen. Ja, die Entscheidungen der Gruppe kritisch zu hinterfragen. Eben „schwarz“ zu sehen.
Ich grummle vor mich hin.
Pflichtbewusst tauche ich in meine Rolle ab.
Ohne viel Freude und Elan.
Irgendwie fühle ich mich außen vor.
Ich grenze mich selbst von der Gruppe ab.
Diese „Schwarzseherei“ kann man ja niemanden zumuten.
In regelmäßigen Abständen teile ich meine Bedenken mit.
Weise auf Risiken hin, für die ich meine Gehirnwindungen ganz schön verbiegen muss.
Hinterfrage Annahmen.
Die anderen werfen sich fröhlich die Bälle hin und her, um einen gemeinsamen Namen für unsere Gruppe zu finden. Enthusiastisch entwerfen sie erste Reime mit ihrem Favoriten.
Und ich:
„Meint ihr wirklich, dass dieser Name zu unserer Gruppe passt?
Er wirkt so Nullachtfünfzehn.“
In mir zieht sich körperlich alles zusammen.
Meine Gedanken und Gefühle fahren Achterbahn.
Wie kannst du nur Katja!
Du machst hier gerade voll die Stimmung kaputt.
Der Name war doch ok, eben gut genug.
Die Spannung ist körperlich schmerzhaft für mich.
Doch die anderen sind nachsichtig mit meiner Rolle.
Sie gehen einfach in eine weitere Brainstorming-Runde.
Und Tatsache: In kürzester Zeit entsteht ein viel passender Name.
Echt jetzt?
Ich blicke ungläubig in die Runde.
Meine Stimmung hellt sich auf.
Was für eine Erfahrung!
Meine Versöhnung mit dem Kritiker
Seit diesem Tag habe ich eine komplett andere Perspektive auf Kritiker:innen.
Ich schätze sie dafür, dass sie in dieser Spannung stehen bleiben, die für mich nur schwer auszuhalten war.
Kritisch zu sein ist für mich weiterhin keine natürlich gegebene Qualität.
Doch ich lerne mehr und mehr kritischen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, wenn ich einen Widerstand habe. Es nicht per se anderen recht zu machen, unkompliziert zu sein und mich für das Wohlgefühl im Miteinander verantwortlich zu fühlen (für Astro-Insider: Waage in der Tatkraft). Mich für echte Harmonie einzubringen.
Der entscheidende Unterschied, den ich auf dem Weg zur Alm gespürt habe:
Agiere ich aus einem per se „DAGEGEN“ oder im Sinne FÜR das Ganze.
„Wir müssen immer zwei Arten von Kritik unterscheiden: die wohlwollende, aufbauende, taktvolle und die schroffe, ätzende, gehässige.“
(Norman Vincent Peale)
Bis dato dachte ich: Wenn ich schon einen Einwand habe, dann bitte auch mit einem besseren Vorschlag. Wenn ich keine Lösung parat hatte, schluckte ich meinen inneren Widerstand runter. Als hätte er keine Daseinsberechtigung.
Doch die Erfahrung auf dem Weg zur Alm mit dem schwarzen Hut hat mir verdeutlicht: Manchmal braucht es das Eingeständnis. Das Gefühl, dass etwas nicht passend und stimmig ist. Den Widerstand. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld. Spannung im Sinne von Energie. Sinnbildlich wie ein „Gummiband“, das auseinander gezogen wird.
Wenn es zu stark gestretcht wird, reißt es.
Wenn es zu wenig gezogen wird, bleibt es an Ort und Stelle.
Doch wenn es uns gelingt, das Spannungsfeld (aus-) zu halten und das zuzulassen, was co-kreativ entstehen will …
Dann katapultiert uns das „Gummiband“ in unser Potenzial.
Mein Aufstieg im Widerstand war eine spielerische, doch emotional eindrückliche Erfahrung.
Meine Ausbilder:innen wussten genau, wo unsere Schatten liegen und was wir integrieren dürfen.
Die Kritiker:innen und ich …
Wir sind versöhnt.
Ich wünsche dir, dass du öfter eine unbequeme Perspektive einnimmst,
Katja
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