Hochsensibilität. Die Gabe der feinen Antennen | Interview mit Henrike Heier

Montags-Impuls_ Hochsensibilität

In meiner Arbeit als BerufungsCoach begegnen mir immer wieder Menschen, die ich als hochsensibel wahrnehme. Gleichzeitig haben nur wenige von ihnen jemals von Hochsensibilität gehört und oftmals empfinden sie diese Eigenschaft eher als Last.

Genau das hat mich dazu bewegt, in diesem Montags-Impuls ein Interview mit Henrike Heier zu teilen. Als Psychologin und Ganzheitlicher Coach widmet sie ihre Arbeit dem Potenzial der Hochsensibilität.

Liebe Henrike, was ist Hochsensibilität?

Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal und beschreibt eine besonders starke Sensibilität gegenüber Reizen. Hochsensible Menschen haben sehr feine Antennen, mit denen sie mehr und intensiver wahrnehmen als andere Menschen. 

Wie bist du selbst auf dieses Thema gestoßen?

Mich fragte ein guter Freund: „Hast du eigentlich das Gefühl, mehr wahrzunehmen als andere?“ Ja, dieses Gefühl hatte ich insgeheim schon immer, aber ich hatte nie offen darüber gesprochen. Ich habe neben einer hohen Sensibilität vor allem eine starke Sensitivität, also eine ausgeprägte Wahrnehmung über die körperlichen Reizwahrnehmungen mit den fünf Sinnen hinaus. Erst als ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, fand ich Worte für meine Empfindungen und erkannte, dass ich damit nicht alleine bin.

Welche typischen Herausforderungen haben Menschen, die hochsensibel sind?

Sie haben oft das Gefühl, nicht in diese Welt zu passen. Durch ihre hohe Empfindlichkeit treffen sie schon früh im Leben auf Unverständnis. Sie spüren, dass sie irgendwie anders ticken und leiten daraus ab, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Für viele folgt daraus eine starke Anpassungstendenz und ein Mangel an Selbstvertrauen. Sie kämpfen mit sich, anstatt sich so zu akzeptieren, wie sie sind.

Dadurch, dass hochsensible Menschen mehr und intensiver wahrnehmen, geraten sie auch schneller in einen Zustand der Reizüberflutung. Das wiederum führt zu einem hohen Stresserleben. Es ist ganz logisch: Umso mehr Informationen aufgenommen werden, desto schneller sind die Kapazitäten erreicht und die Akkus leer. Durch die schnellere Überstimulation halten sich viele für weniger belastbar und unterschätzen ihre innere Stärke.

Was bedeutet das im Berufsalltag / in der heutigen Arbeitswelt?

Die Leistungsgesellschaft ist nicht für Hochsensible gemacht. Unter Zeit- und Leistungsdruck zu arbeiten, belastet sie im besonderen Maße und führt dazu, dass sie auf ihre Stärken und besonderen Fähigkeiten nicht mehr zurückgreifen können. Dabei ist es für sie besonders wichtig, sich zu engagieren und einen Sinn in ihrer Arbeit zu finden. Sie suchen mehr als andere nach ihrer Lebensaufgabe und ihrer Berufung. Ihre Berufstätigkeit darf aber nicht zu ständiger Überreizung führen. Die Herausforderung: Sie werden eher von ihrer Arbeitsumgebung beeinträchtigt als andere. Zum Beispiel Geräusche, Lichtverhältnisse, Gerüche, ungünstige Sitzpositionen im Raum oder zu wenig Privatsphäre, wirken sich besonders stark auf das Wohlbefinden aus. Ein Großraumbüro ist für die meisten Hochsensiblen eine Katastrophe.

Die Auseinandersetzung damit, wie sie ihre Berufstätigkeit so gestalten können, dass sie sich wohlfühlen, gesund bleiben und ihre Stärken leben können, ist also besonders wichtig.

Worin liegt das Potenzial für Hochsensible und unsere Gesellschaft?

Hochsensibilität ist keine schlechte Laune der Natur. Hochsensible sind Seismografen unserer Gesellschaft. Mit ihrer aufmerksamen und vernetzten Wahrnehmungsfähigkeit und ihren ganzheitlichen Denkansätzen, haben sie einen scharfen Blick für Details, Gefahren und Chancen. Sie sind engagiert, pflichtbewusst, umsichtig und vorsichtig (manchmal zu vorsichtig). Sie tragen eine reiches kreatives Potenzial und eine hohe Innovationskraft in sich. Sie haben einen starken inneren Impuls, persönlich zu wachsen und ihr Bewusstsein zu entwickeln. Sie sind Vordenker, Changemaker und kreative Individualisten. Ihrer Bestimmung folgend, haben sie seither zu Wachstum und Entwicklung beigetragen.

Was hat dir persönlich geholfen, um deine Hochsensibilität als Stärke zu betrachten und zu leben?

Den Umgang mit Hochsensibilität erlebe ich als eine stetige und spannende Reise zu mir selbst. Ich habe gelernt, mich zu verstehen und meine Empfindungen ernst zu nehmen. Dadurch kann ich besser für mich sorgen und so wird auch der Blick auf die Stärken frei. Lange habe ich mich selbst dafür abgetan, wenn mir etwas zu viel oder zu anstrengend war. Jetzt erlaube ich mir, auf mich und meine Bedürfnisse zu hören. Ich habe Vertrauen in meine innere Stimme entwickelt und habe ein neues Bewusstsein für die Tiefe, in der ich fühle und wahrnehme. Ich habe mich auf dem Weg gemacht, dem Ruf meiner Seele zu folgen und damit begonnen mein Leben so auszurichten, wie es für mich stimmig ist.

Liebe Henrike, vielen Dank für diese wertvollen Einblicke und dass du deine Erfahrungen mit den Leser*innen der Montags-Leser*innen geteilt hast.

Mehr über Henrike und ihr Angebot erfährst du auf ihrer Website Wurzeln und Flügel. Am 29. April ist sie im Konnektiv62 zu Gast für den Impuls-Abend: Leben mit Hochsensibilität.

Ich wünsche dir, als Leser*in, dass du Hochsensibilität bei dir oder/und anderen als Stärke anerkennen kannst,
Katja

Impuls-Abend: Leben mit Hochsensibilität

29. April 2020, 18 – 20 Uhr, Konnektiv62 in Dresden

Dieser Abend bietet einen offenen und informativen Raum, um das Bewusstsein für die Herausforderungen und das Potenzial von Hochsensibilität zu stärken und darüber ins Gespräch zu kommen.

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